Cybersicherheit: Österreichs Unternehmen im Visier

Die Bedrohungslage im Cyberraum hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Österreichische Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen finden sich zunehmend im Visier professioneller Hackergruppen, staatlicher Akteure und Cyberkrimineller. Der jüngste "Cyber Security Report Austria 2025" zeichnet ein beunruhigendes Bild: Die Zahl der erfolgreichen Cyberangriffe auf heimische Unternehmen ist im Vergleich zum Vorjahr um 37% gestiegen, die durchschnittlichen Schadenskosten haben sich auf 312.000 Euro pro Vorfall mehr als verdoppelt.
Aktuelle Bedrohungslandschaft
Laut dem österreichischen Computer Emergency Response Team (CERT.at) dominieren derzeit fünf Hauptbedrohungen die heimische Cybersecurity-Landschaft:
1. Ransomware-Angriffe
Ransomware bleibt die größte Bedrohung für österreichische Unternehmen. Bei diesen Angriffen werden Unternehmensdaten verschlüsselt und erst gegen Lösegeldzahlung wieder freigegeben. Besonders besorgniserregend ist der Trend zu sogenannten "Double Extortion"-Attacken, bei denen die Angreifer zusätzlich zur Verschlüsselung auch mit der Veröffentlichung sensibler Daten drohen.
Ein prominentes Beispiel aus dem vergangenen Jahr war der Angriff auf einen führenden österreichischen Industriebetrieb, der mehrere Tage lang seine Produktion einstellen musste und dessen Kundendaten teilweise im Darknet auftauchten. Der geschätzte Gesamtschaden: über 4 Millionen Euro.
2. Phishing und Social Engineering
Phishing-Angriffe werden immer ausgefeilter und zielgerichteter. Besonders beunruhigend ist der Anstieg von "Spear Phishing", bei dem die Angreifer detaillierte Informationen über ihre Ziele sammeln, um maßgeschneiderte und äußerst glaubwürdige Täuschungsversuche zu starten.
Eine aktuelle Studie des Digital Society Institute zeigt, dass 63% der erfolgreichen Cyberangriffe in Österreich mit einem Phishing-Angriff beginnen. Besonders besorgniserregend: Die Erkennungsrate gefälschter E-Mails liegt selbst bei geschulten Mitarbeitern nur bei etwa 70%.
3. Supply Chain-Angriffe
Eine wachsende Bedrohung stellen Angriffe über die Lieferkette dar. Statt das Zielunternehmen direkt anzugreifen, kompromittieren die Angreifer zunächst einen Zulieferer oder Dienstleister mit schwächeren Sicherheitsmaßnahmen und nutzen dessen Verbindungen, um in das eigentliche Zielnetzwerk einzudringen.
Im Februar 2025 warnte das CERT.at vor einer gezielten Kampagne gegen österreichische IT-Dienstleister, bei der die Angreifer über kompromittierte Service-Accounts Zugang zu Kundensystemen erlangten.
4. Schwachstellen in Cloud-Diensten
Mit der zunehmenden Verlagerung von Geschäftsprozessen in die Cloud steigt auch das Risiko von Sicherheitslücken in diesen Umgebungen. Fehlkonfigurationen, unzureichende Zugriffskontrollen und mangelnde Verschlüsselung bieten Angreifern vielfältige Einfallstore.
Eine Untersuchung des Cybersecurity-Unternehmens SBA Research ergab, dass bei 47% der analysierten Cloud-Installationen österreichischer Unternehmen gravierende Sicherheitsmängel festgestellt wurden.
5. Zero-Day-Exploits
Besonders gefährlich sind Angriffe, die bislang unbekannte Sicherheitslücken (Zero-Day-Vulnerabilities) ausnutzen. Gegen diese gibt es per Definition noch keine Sicherheitspatches, was die Abwehr extrem erschwert.
Der "Advanced Threat Report" von FireEye dokumentierte im vergangenen Jahr einen starken Anstieg von Zero-Day-Exploits, die gegen österreichische Unternehmen im Finanz- und Energiesektor eingesetzt wurden.
"Die Bedrohungslandschaft hat sich fundamental gewandelt. Wir sehen heute hochprofessionelle Angriffe, die früher nur gegen militärische oder staatliche Ziele gerichtet waren, nun regelmäßig gegen mittelständische Unternehmen. Kein Betrieb ist mehr 'zu klein', um ins Visier zu geraten."
Dr. Martin Neumayer, Leiter des österreichischen Cyber-Sicherheitszentrums
Besonders betroffene Branchen
Obwohl grundsätzlich alle Branchen betroffen sind, zeigen sich einige Sektoren besonders im Visier von Cyberangriffen:
- Gesundheitswesen: Krankenhäuser und Gesundheitsdienstleister sind aufgrund ihrer kritischen Infrastruktur und der wertvollen Patientendaten bevorzugte Ziele.
- Finanzen und Versicherungen: Die offensichtlichen finanziellen Anreize machen diese Branche für Cyberkriminelle besonders attraktiv.
- Produktion und Industrie: Insbesondere die für Österreich wichtige Automobilzulieferindustrie verzeichnet einen starken Anstieg gezielter Angriffe.
- Energieversorgung: Als Teil der kritischen Infrastruktur stehen Energieversorger im Fokus staatlich unterstützter Hackergruppen.
- Öffentlicher Sektor: Behörden und öffentliche Einrichtungen sehen sich zunehmend mit Angriffen konfrontiert, die sowohl auf Datendiebstahl als auch auf Störung der Verwaltungsarbeit abzielen.
Herausforderungen für österreichische Unternehmen
Die Herausforderungen im Bereich Cybersicherheit sind vielfältig und betreffen Unternehmen aller Größenordnungen:
Fachkräftemangel
Österreich fehlen derzeit schätzungsweise 10.000 Cybersecurity-Experten. Dieser Mangel trifft besonders KMU hart, die oft nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, um mit den Gehältern größerer Unternehmen oder internationaler Konzerne mitzuhalten.
Komplexität moderner IT-Umgebungen
Die zunehmende Vernetzung, der Einsatz von IoT-Geräten und die Verlagerung in hybride Cloud-Umgebungen vergrößern die Angriffsfläche erheblich. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, den Überblick über ihre gesamte IT-Landschaft zu behalten.
Regulatorische Anforderungen
Mit der EU-Richtlinie NIS2 (Network and Information Security) und der Cybersecurity-Verordnung kommen neue regulatorische Anforderungen auf viele Unternehmen zu. Die Umsetzung dieser Vorgaben bindet zusätzliche Ressourcen und erfordert oft externe Expertise.
Budgetäre Einschränkungen
Trotz der steigenden Bedrohungslage sehen viele Unternehmen Cybersicherheit noch immer als reinen Kostenfaktor. Eine Umfrage der Wirtschaftskammer Österreich ergab, dass nur 23% der befragten KMU ihre Investitionen in Cybersicherheit als ausreichend betrachten.
Best Practices und Schutzmaßnahmen
Wir haben mit führenden Sicherheitsexperten gesprochen, um praxisnahe Empfehlungen für österreichische Unternehmen zu sammeln:
Grundlegende Sicherheitsmaßnahmen
Selbst einfache Maßnahmen können einen signifikanten Unterschied machen:
- Regelmäßige Updates: Etwa 60% der erfolgreichen Angriffe nutzen bekannte, aber nicht gepatchte Sicherheitslücken.
- Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA): Die Implementierung von MFA kann das Risiko von Account-Kompromittierungen um bis zu 99% reduzieren.
- Netzwerksegmentierung: Eine sinnvolle Trennung von Netzwerkbereichen verhindert, dass Angreifer sich lateral im Netzwerk bewegen können.
- Datensicherung: Ein strukturiertes Backup-Konzept nach der 3-2-1-Regel (drei Kopien auf zwei verschiedenen Medientypen, davon eine offline) bietet effektiven Schutz gegen Ransomware.
Schulung und Sensibilisierung
Der Mensch bleibt das wichtigste Glied in der Sicherheitskette:
- Regelmäßige Awareness-Trainings: Mitarbeiter sollten kontinuierlich für aktuelle Bedrohungen sensibilisiert werden.
- Phishing-Simulationen: Praktische Übungen helfen, die Erkennungsrate von Phishing-Versuchen zu verbessern.
- Klare Meldewege: Mitarbeiter sollten wissen, wie und wo sie verdächtige Aktivitäten melden können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
Strategischer Ansatz
Cybersicherheit sollte als kontinuierlicher Prozess verstanden werden:
- Risikoorientierter Ansatz: Identifizieren Sie kritische Daten und Prozesse und fokussieren Sie Ihre Schutzmaßnahmen entsprechend.
- Incident Response Plan: Ein gut vorbereiteter Notfallplan reduziert im Ernstfall die Reaktionszeit und minimiert potenzielle Schäden.
- Regelmäßige Überprüfungen: Penetrationstests und Sicherheitsaudits helfen, Schwachstellen zu identifizieren, bevor Angreifer sie ausnutzen können.
Externe Unterstützung
Nicht jedes Unternehmen kann oder muss alle Sicherheitsaspekte intern abdecken:
- Managed Security Services: Spezialisierte Dienstleister können insbesondere für KMU eine kosteneffiziente Lösung darstellen.
- Cyber-Versicherungen: Diese können finanzielle Risiken abfedern, ersetzen aber keine technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen.
- Austausch mit Branchenverbänden: Viele Industrieverbände bieten spezifische Informationen zu aktuellen Bedrohungen in ihrer Branche.
Öffentliche Unterstützungsangebote
Österreichische Unternehmen können auf verschiedene Unterstützungsangebote zurückgreifen:
- Das österreichische CERT bietet aktuelle Warnungen und Handlungsempfehlungen.
- Die Initiative KMU Digital der WKO unterstützt kleine und mittlere Unternehmen mit Beratungsleistungen und Förderungen im Bereich Cybersicherheit.
- Das Cybercrime Competence Center (C4) des Bundeskriminalamts ist Ansprechpartner bei Cyberkriminalität.
Fazit: Cybersicherheit als kontinuierlicher Prozess
Die Bedrohungslage im Cyberraum wird sich in absehbarer Zeit weiter verschärfen. Cybersicherheit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der in die Unternehmenskultur integriert werden muss. Die gute Nachricht: Mit einem strukturierten Ansatz, angemessenen Investitionen und der Sensibilisierung aller Mitarbeiter können auch kleinere Unternehmen ein solides Sicherheitsniveau erreichen.
Wie Dr. Neumayer es ausdrückt: "Perfekte Sicherheit gibt es nicht, aber jedes Unternehmen kann seine Resilienz verbessern und sich so gegen die Mehrzahl der Bedrohungen wappnen. Der erste Schritt ist immer, das Thema zur Chefsache zu machen und es nicht allein der IT-Abteilung zu überlassen."